Die meisten Menschen kennen den Muttermund (oder Gebärmutterhals) nur als den Teil der Gebärmutter, der regelmässig innerhalb der Krebsvorsorge untersucht wird. Gebärende Frauen wissen, dass sich der Muttermund 10 cm öffnen muss, damit das Köpfchen des Babys da durch passt. Und viele lernen den Muttermund kennen, wenn es ihnen beim Sex dort weh tut.
Ansonsten liegt dieser Bereich des weiblichen Körpers bei fast alle Menschen sprichwörtlich im Dunkeln, die meisten Mediziner und Wissenschaftler eingeschlossen.
In den 50er Jahren hatte der Sexualforscher und Biologe Dr. Alfred Kinsey mit seinem Kinsey Report die Menschen in ihrem Weltbild erschüttert und aufgeweckt, indem er die heimlichen sexuellen Sehnsüchte der Menschen aufdeckte. Diese Studie war allerdings nur zum Teil ein Segen für die Menschheit.
Im Rahmen dieser Studie hatte Kinsey sich auch dafür interessiert, ob der Muttermund ein sensibles Organ ist und Empfindungen hat. Dazu strich er mithilfe eines Glas-, Metall- oder Wattestäbchen sanft über die Muttermünder von 878 Frauen.
5% konnten diese Berührung fühlen.
Gab er allerdings bei der gleichen Versuchsgruppe mit den gleichen Stäbchen Druck auf den Muttermund, so waren 84% der Frauen in der Lage, diese Sensation wahrzunehmen.
Dennoch schrieb Kinsey als Ergebnis seiner Studie:
„All of the clinical and experimental data show, that the surface of the cervix is the most completely insensitive part of the female genital anatomy.”
„Alle klinischen und experimentellen Daten zeigen, dass die Oberfläche des Muttermundes der unsensibelste Teil der weiblichen genitalen Anatomie ist.“
Warum Kinsey seinen zweiten Versuch nicht in seine Schlussfolgerungen mit einbezogen hat, ist nicht bekannt. Allerdings wurde dieser Satz seitdem als die gängige Lehrmeinung sowohl von Wissenschaftlern als auch von allen Ausübenden medizinischer Heilberufe übernommen und so interpretiert, dass der Muttermund taub sei.
Seit 1998 forscht Dr. Komisaruk (Rudgers Universität, New Jersey) zu diesem Thema. In seinen Studien mit querschnittsgelähmten Frauen konnte er mithilfe des MRT zeigen, dass der Muttermund von drei paarigen Nerven innerviert wird: Dem Pelvic-, Hypogastric- und Vagusnerv.
Der Muttermund ist das Organ der weiblichen genitalen Anatomie, das von den meisten Nerven innerviert wird. Diese Nerven leiten Informationen zum Gehirn, was bedeutet, der Muttermund ist dazu gemacht, zu fühlen!!
Was geschieht nun, wenn wir mit einem Organ unachtsam umgehen, weil wir denken, es sei taub oder gefühllos – nicht wissend, das eine Fülle von Informationen zum Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet wird?
Diese Frage bekommt eine noch grössere Dimension, da einer der sendenden Nerven der Vagusnerv ist. Denn sehr vereinfacht ausgedrückt signalisiert der Vagusnerv dem Gehirn, ob einem Menschen Gefahr droht, oder ob er sich sicher fühlen und entspannen kann.
Und hier unterscheidet das Gehirn nicht, ob diese Gefahr tatsächlich besteht, ob wir uns die Gefahr einbilden, ob es sich um eine Erinnerung an eine frühere, bewusst wahrgenommene Situation handelt, oder eine Situation, die in unseren Zellen als unbewusste Erinnerung gespeichert ist.
Wenn wir uns nicht sicher fühlen, laufen automatisch Prozesse ab, die entweder zu Flucht, Kampf, sich verstecken oder einem Verhalten, bei dem wir zu allem „Ja“ sagen, führen, nur damit uns nichts geschieht.
Es sind natürliche, angeborene Sicherheitsmechanismen, die unser Überleben ermöglichen. Wir können dankbar sein, dass es sie gibt.
Zurück zu der Frage, wie Frauen reagieren, wenn ihr Muttermund, von dem sie gelernt haben, er sei taub, bei Entbindungen durchgeschnitten, von Hebammen und Gynäkologen grob betastet oder während der Penetration zu grob angestossen wird?
Der Vagusnerv signalisiert dem Gehirn, dass Gefahr herrscht.
Das ist im Prinzip nichts Neues. Das ist die Aufgabe des Vagusnervs. Als Teil des Parasympathischen Nervensytems ist er hauptverantwortlich dafür, dass unser Körpersystem weiß, ob es auf Gefahrmodus umschalten muss oder sich entspannen kann.
Neu ist das Wissen, dass der Vagusnerv nicht irgendwo im Bauch endet, sondern bei Frauen bis zum Muttermund reicht.
Die Einschätzung, ob eine Berührung ok ist oder nicht, obliegt hier ganz alleine der Muttermundträgerin. Gefahr ist subjektiv. Was für die eine Person eine aufregendes Abenteuer ist, ist für andere kaum auszuhalten. Gefahr ist immer, wenn sich eine Person nicht sicher fühlt.
Der Körper schaltet automatisch um: Die Muskeln kontrahieren und bereiten sich auf Flucht oder Kampf vor, der Blutzucker erhöht sich, damit die Muskeln genügend Nahrung haben, das Hormonsystem schaltet auf Stresshormone um und der persönlich Fokus reduziert sich auf die Frage: „Wie komme ich hier lebendig wieder raus?“
Die Polyvagaltheorie von Stephen Porges besagt, dass ein Stress dann zum Trauma wird, wenn der Vagusnerv nach der stressauslösenden Situation nicht wieder reguliert wird. Das bedeutet, dass sich ein Mensch wieder bewusst beruhigt, weil die stressige Situation für ihn positiv gelöst wurde. Dies ist bei Menschen ein bewusster Akt. Im Gegensatz zu der Antilope, die sich nach ihrer Flucht vor dem Löwen automatisch schüttelt, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen, haben wir diesen automatischen Mechanismus verlernt.
Wenn wir uns aber gar nicht bewusst sind, dass wir gerade in einem Stresszustand geraten sind, weil wir ja der Ansicht sind, dass der Muttermund eh nichts spürt (und wir gelernt haben, mehr unserer Logik zu vertrauen, als unserem Gefühl), treffen wir auch keine bewusste Entscheidung für Ausgleichsmassnahmen. Wir lösen den Stress nicht auf. Was bleibt sind Verspannungen, die sich im ansammeln, verstärken und sich als Schmerz und/oder Krankheit zeigen.
Unser Nervensystem hat noch eine weitere geniale Überlebensmöglichkeit geschaffen: Sollten die Signale des Körpers wie Schmerz oder Verspannung über längere Zeit nicht beachtet werden, so schaltet der Körper um auf Taubheit. Auch das ist ein Schutz vor Überlastung und Überforderung, immer im Hinblick auf das Überleben der Spezies gesehen.
In unserem Beispiel wird daher nach einer relativen Dauer der Muttermund und das umliegende Gewebe taub. Wir fühlen keine Verbindung mehr mit diesem Bereich unseres Körpers.
Nun hat der Muttermund nicht nur eine grosse Bedeutung als Tor für das Neugeborene in diese Welt. Zusammen mit dem Beckenboden steht er im yogischen System als physische Repräsentation des Muladhara Chakras. Von diesem Ort erleben wir das Gefühl von Verwurzelung und Sicherheit. Nach Wilhelm Reich entspringt diesem Chakra das Gefühl für das Recht, dort zu sein, wo man gerade ist.
Bitte lesen Sie diesen letzten Satz noch einmal. Es geht nicht darum, sich dort zu fühlen, wo man gerade ist, sondern darum, das Recht zu fühlen, dort sein zu dürfen, wo man gerade ist. Das ist ein grosser Unterschied!!
Ist nun dieser Bereich schmerzhaft, verspannt oder taub, finden diese Frauen keinen Halt in sich selbst und suchen diesen im Aussen (Co-Abhängigkeit). Sie haben Angst, Grenzen zu setzen und ihren Standpunkt zu vertreten.
Das Drama, das daraus resultieren kann, ist Chaos auf vielen Ebenen. Und wenn Ihnen nun die Analogie einfällt, Frauen wären Dramaqueens und wären so unglaublich chaotisch und kompliziert…. Dann liegen Sie zum einen richtig, zu anderen aber auch nicht. Denn das in einen weiblichen Körper inkarnierte Wesen ist nicht per se chaotisch oder dramatisch. Es ist manchmal einfach nur haltlos. Ohne Wurzeln.
Frauen, die erfahren, dass ihr Muttermund in einer Art berührt wird, der sich für das körperliche Schutzsystem nicht sicher anfühlt, reagieren mit Verspannung, später mit Schmerz und dann mit Taubheit auf emotionaler, psychischer, physischer und spiritueller Ebene.
Wenn wir nun im Blick haben, dass Entbindungen häufig als traumatisch erlebt werden, dass Frauen ihre Sexualität oft als unbefriedigend empfinden, weil die gelebte Sexualität häufig nicht ihrem Wesen entspricht, dass medizinische vaginale Untersuchungen oft als unangenehm empfunden werden, dass Informationen vieler Generationen zurück in unseren Zellen gespeichert sind (z. B. der Schrecken der vielen Kriege der letzten 150 Jahre), dass sexueller Missbrauch in allen Bevölkerungsschichten stattgefunden hat und auch heute noch stattfindet, dass Vergewaltigung in Kriegszeiten systematisch stattfindet, um die weibliche Bevölkerung zu schwächen, dann können wir mit grosser Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass bei vielen Frauen der Muttermund über den Vagusnerv ununterbrochen signalisiert: Pass auf! Gefahr!
Und da das Wissen um die Verbindung von Muttermund und Vagusnerv noch so jung ist, wissen die meisten Frauen nicht, was mit ihnen los ist.
Was hat das nun für Konsequenzen – und wie war das mit dem Weltfrieden
Abgesehen von der Gesundheit der Frau (und das alleine wäre es schon wert, sich mehr mit dem Thema auseinander zu setzten) ist laut Polyvagaltheorie ein regulierter Vagusnerv notwendig, um in sozialen Gemeinschaften und gelingende Beziehungen leben zu können.
Wie können wir nun untereinander Frieden finden, wenn ein grosser Teil der Menschen gar nicht in der Lage dazu ist – und das noch nicht einmal weiss?
Ich möchte mich in meiner Annahme noch etwas weiter aus dem Fenster lehnen:
Wie können wir untereinander Frieden finden, wenn die Personen, die dazu den ersten Schritt machen könnten, mit der Frage beschäftigt sind: „Wie komme ich hier lebend wieder raus?“
Im Gefahrenmodus ist für Zuhören, Hingabe, Fürsorge und das Pflegen von Gemeinschaft nur wenig Kapazität.
Ich habe keine Antwort auf die Frage nach dem warum. Warum wurden Frauen in den vergangenen Jahrhunderten missbraucht, verbrannt, getötet, misshandelt, unterdrückt…? Ich suche eine Antwort auf die Frage: Was machen wir jetzt damit?
Ich denke, wir Frauen haben das Recht, darüber wütend zu sein und die Traurigkeit zu spüren. Und immer wieder ist es auch heute noch wichtig, Angst und Vorsicht als Warnsignale ernst zu nehmen.
Dann gibt es aber auch noch die Freude und die Liebe. Und um diese wieder zu finden, ist es wichtig, selbst auch Verantwortung zu übernehmen, und hier möchte ich alle Frauen ermutigen, sich auf den Weg zu machen, die Taubheit und Verspannungen aus dem Bereich des Beckens/Muttermunds zu heilen.
Denn wenn es um Frieden geht, egal ob Weltfrieden oder Frieden in einer Beziehung, stellt sich immer die Frage: Wer macht den ersten Schritt? Wer ist still und hört der anderen Seite als Erste/r einfach nur zu? Wer kann es aushalten, die Geschichte der anderen Seite voll und ganz anzuerkennen, ohne zu reagieren, ohne zu rechtfertigen? Wer ruht so in sich, und kann das aushalten?
Das ist der empfangende Teil in uns allen, eine der femininen Seite zugeschriebene Charaktereigenschaft.
Wenn wir Frauen in uns verwurzelt sind, in uns ruhen, dann ist uns das möglich.
Dann können wir vergeben. Einer der wichtigsten Schritte zum Frieden.